Der Taxifahrer

Kiria Ismini

 

Es war auf der Insel Milos, als ich, des Strandlebens überdrüßig, den Bus in die Hauptstadt Plaka nahm. Erzählungen über Museen und Katakomben sowie Schwärmereien von einer phantastischen Aussicht hatten meine Neugier geweckt. Dummerweise an einem Montag, die Museen waren geschlossen und, mehr oder weniger aus Verlegenheit, landete ich in einer Kirche.Ein prunkvoller Altar inmitten herrlicher Gemälde und kostbarer Ikonen lud zu längerem Verweilen ein. Der Priester, hier Papas genannt, ließ gerade seine jahrzehntelang geübte Stimmgewalt auf zwei griechische Touristenpaare niedersausen, die wie mir schien, schon genug von seinen pastoralen Weisheiten hatten. Doch da ihm Redepausen scheinbar fremd waren und sie es nicht übers Herz brachten, einen Mann Gottes mitten im Satz stehenzulassen, blieben sie ihm weiterhin ausgeliefert.

Er winkte mir, näherzutreten, erkannte mich aber schnell als undankbares Opfer seiner Belehrungen und entließ mich mit einem verzeihendem Lächeln und einer kurzen väterlichen Umarmung. Gerührt über soviel spontane Herzlichkeit verließ ich die Kirche. Allerdings ging mir der Anblick einer veralterten Alarmanlage, einer Heizspirale, sowie einer scheußlichen 6oer Jahre Uhr in friedlicher Eintracht an der Wand zwischen uralten Ikonen nicht mehr aus dem Sinn. Dieser Gegensatz hatte ein Foto verdient, ich bereute, keins gewagt zu haben und eilte nochmal zurück. 

Papas stand vor der Tür, bedauerte, daß das Fotografieren in der Kirche verboten sei, und ermunterte mich, es draußen zu tun. Pro forma zückte ich die Kamera, da stellte er sich in Pose. Diese Eitelkeit hatte ich bei einem bescheidenem Diener Gottes nicht erwartet, doch mich seines Redeschwalls erinnernd, ahnte ich, daß er zur weniger bescheidenen Sorte zählte. Ich fotografierte ihn zweimal, dessen nicht genug, schob er mich sanft aber energisch in die Kirche zurück. Ich befürchtete, den Bus zu verpassen, doch beugte mich der priesterlichen Autorität. Er begann seine Führung, erklärte mir die Geschichte der Schätze und Gemälde in so klarem, deutlichem Griechisch, daß ich tatsächlich fast die Hälfte verstand.

Daß seine Hände von Zeit zu Zeit meine Schultern und nackten Oberarme berührten, hielt ich bald nicht mehr für einen Zufall, doch es störte mich nicht. Oft ist eine unerwünschte Hand mit über den Rücken kriechenden Schnecken vergleichbar, doch diesmal schienen meine Arme regelrecht auf die nächste Berührung zu lauern. War es Sensationslust, war es eine, durch meine verkaterte Verfassung begünstigte Ergebenheit, war es der Kirchenzauber, mir war es egal. Ich hatte mich entschieden, Stimmungen zu erleben, anstatt sie ständig zu analysieren.

Nun betrat eine Gruppe deutscher Touristen die Kirche. Als sie respektvoll ihre Strohhüte abnahmen, wurde er auf meinen aufmerksam. Wie läufst Du hier eigentlich herum, muß ich denn auf alles achten, sagte mir sein leicht verschmitzter Blick, als er ihn mir mit einer knappen Geste vom Kopf fegte.

Als ich mich verabschieden wollte, beschwor er mich, zu bleiben. Im gegenüberliegendem Gebäude, den Besuchern nicht zugänglich, befänden sich ganz besondere Antiquitäten, die er mir gern zeigen würde. Sein vertraulich flüsternder Ton flößte mir wenig Vertrauen ein; ich dankte und beschloß, das Weite zu suchen. Er zeigte keine Enttäuschung, verschob einfach alles auf morgen, erklärte mir die Museumszeiten und begleitete mich zum Bus.

Mir war klar ich würde nicht wiederkommen, doch ich kam. Und nicht etwa wegen der Museen, sondern wegen dieses Priesters. Es wurmte mich, daß er, obwohl lebendig in meiner Erinnerung, nicht von meinem geistigen Auge herbeigezaubert werden konnte. Ich mußte noch einmal zurück, um mir sein Gesicht einzuprägen. Auch reizte es mich, zu erfahren, ob und wie er den Übergang von zufällig scheinenden Berührungen zu dreisten Deutlichkeiten schaffen wollte. Vielleicht war er eine Art Rasputin im Priestergewand, dem ich grenzenlos zu verfallen im Begriff war.

Nach meinen schnell erledigtem Museumsbesuch steuerte ich die Kirche an. Die Tür war geöffnet, mein Priester nicht zu entdecken, also fotografierte ich schleunigst meine Objekte. Beim Rückzug erwischte er mich, meine Freveltat war ihm offenbar entgangen. Er strahlte mir entgegen, erkannte mich aber erst, als ich unmittelbar vor ihm stand. Zwei Dinge wurden mir klar, er war kurzsichtig wie eine Fledermaus und winkte jede ihm attraktiv scheinende Frau heran.

Heute ließ ich mir, gemeinsam mit einigen griechischen Touristen, die versprochenen Schätze zeigen. Es waren besonders wertvolle Ikonen, fein gearbeitete  Skulpturen sowie einige, kleinere Gemälde, für die allein es sich lohnte, wiedergekommen zu sein. Die Griechen zeigten sich sehr interessiert, ermüdeten aber bald unter seinem nicht endenwollendem Monolog. Jetzt fiel mir auf, daß seine Haare noch dunkel, sein langer Bart aber schon ziemlich weiß war. Er mochte sechzig sein, doch wenn er sich bei seinen Vorträgen ereiferte, wirkte er absolut nicht alt. Er war jung geblieben, und hatte, dem Alter und der Priesterkleidung zum Trotz, etwas Lausbubenhaftes. Besonders seine Art, mich wie eine Komplizin zu behandeln, amüsierte mich. 

Dieses Gefühl teilte ich offenbar nicht mit den anderen Anwesenden, die in resignierter Ergebenheit ins Leere starrten. Ihr anfänglicher Hoffnungsschimmer, ihm könnte irgendwann die Luft ausgehen, verblaßte zusehends, der geübte Prediger und leidenschaftliche Schwätzer war in voller Fahrt. Wie immer ohne Atempause, ein Talent, das mich erstaunte, die anderen aber vollends verstimmte. Dann plötzlich, ohne Vorwarnung ließ er von ihnen ab; vermutlich ödeten ihn ihre ausdruckslosen Gesichter einfach an. Die Gruppe, wie aus einem Trance erwacht, machte sich aufatmend aus dem Staub.

Auf meine Gesellschaft wollte Papas aber noch nicht verzichten, also lockte er mich erneut in seine Kirche. Ein Nein war nicht möglich, der Verschwörerblick mit dem er mir das Fotografieren nun doch gestattete, hätte den Hartherzigsten erweicht. Mich interessierten keine weiteren Fotos, doch um dieses Privileg nicht mit Füßen zu treten, ließ ich die Kamera kurz in Richtung Altar aufblitzen. Anschließend plazierte er mich auf einen Stuhl und setzte sich daneben. Da seine Hände heute noch nicht richtig zum Zuge kamen, bereitete ich mich auf eine Attacke vor, als zwei junge Mädchen die Kirche betraten. Sie entpuppten sich als gottesfürchtige Töchter des Landes, die ehrerbietig vor ihm auf die Knie sanken. Normalerweise hätte ihm der dargebrachte Beweis guter christlicher Erziehung Freude verschafft, aber wie es jetzt aussah, lag ihm nichts näher, als die lästigen Störenfriede mit Fußtritten wieder hinauszubefördern. Ich hoffte, die arglosen Mädchen würden ihn nicht durchschauen. Immerhin rappelte er sich zu ein paar freundlich väterlichen Worten auf, längere Monologe waren diesmal nicht zu befürchten.

Nachdem die Kleinen verschwunden waren, fragte er mich über mein Leben aus und erzählte auch einiges von sich. Ich erfuhr, daß er schon als Fünfjähriger Priester werden wollte, dieses Ziel nie aufgab und seine Entscheidung nie bereute. Er ist jede Stunde, jede Sekunde froh, der zu sein, der er ist. In dieser Sekunde war auch ich froh, froh darüber, einen Mann getroffen zu haben, der auf so ausgeglichene Weise in seinem Leben aufging. Er fühlte sich berufen und er war berufen, jedenfalls wurde er nie von Zweifel, Langeweile oder Ungeduld gequält. Ein glücklicher Mensch, der nie auf die Idee käme, auf der anderen Seite der Welt wäre das Leben lebenswerter. Doch warum sollte er auch, die aufnahmebereiten Ohren, die er von der Welt brauchte, wurden ihm schließlich täglich in die Kirche geschickt.

Auch privat wollte er mit niemandem tauschen, eine liebenswerte Ehefrau und zwei gutgeratene Söhne machten sein Glück perfekt. Er hatte, wie jeder griechische Priester, der nicht allein bleiben will, früh geheiratet. Früh oder nie, nach der Priesterweihe ist die Ehe tabu. Ein Priester ständig auf Freiersfüßen könnte wahrscheinlich den Respekt der Gemeinde oder gar ihr Wohl aus den Augen verlieren. Jetzt fragte ich mich, wie es mit dem Respekt der Gemeinde für meinen Priester wohl aussah. Wie auch immer, seine Unbekümmertheit ließ vermuten, daß er böse Zungen nicht fürchtete. Ich verstand viel von dem was er sagte und auch nie gehörte Worte klangen aus seinem Mund lernenswert. Wäre er nicht Priester geworden, hätte er sicher eine tauglichen Lehrer abgegeben.

Um den nächsten Bus nicht zu versäumen, leitete ich langsam den Abschied ein. Gleichzeitig ließ ich ihn wissen, daß ich am nächsten Tag weiterreisen würde. Er war etwas enttäuscht, ließ sich jedoch schnell von der Aussicht auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr trösten.

Von dem was er jetzt alles auf mich losließ, verstand ich nur wenig, doch als er die lange Rede mit dem Kreuzzeichen beendete, wußte ich mich gesegnet. Sekunden später langte er mir gierig ans Hinterteil. Daß das die Segnung beeinträchtigen könnte, befürchtete ich nicht. Inzwischen war mir auch bei einem Geistlichem nichts Menschliches mehr fremd. Und jedesmal, wenn ich auf anderen Inseln ähnliche Kirchen sehe, denke ich amüsiert und gerührt an ihn.    

Ahondissa

Kiria Ismini    

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